Anina Schenker

Kunstbulletin 2008/12

Kunstbulletin 2008/12
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Anina Schenker
Das Freilegen von physischen und psychischen Zuständen durch die Beobachtung des (eigenen) Körpers, das Ausloten der teils quälenden Ambivalenz von Identität und Dekonstruktion, von Anspannung und Kontrollverlust sind wesentliche Charakteristika der Arbeiten von Anina Schenker.
Diese im ersten Augenblick sehr analytisch klingende Herangehensweise findet ihre Umsetzung in atmosphärisch dichten Videoarbeiten und Fotografien, die die BetrachterInnen mental und körperlich in ihren Bann ziehen. Den Arbeiten liegen performative Situationen zu Grunde, in denen sich Anina Schenker (*1971) immer äusseren Einflüssen aussetzt. Physikalische Kräfte wie Geschwindigkeit und Fliehkraft oder extreme Temperaturen, Wind und Wetter stellen dabei den Anstoss von aussen, das auslösende Moment dar. Die Bilder, die von der neutral und lediglich beobachtend eingesetzten Kamera aufgezeichnet werden, irritieren und verunsichern – Gesichtszüge verformen sich, die schützende Körperhülle erscheint deformiert und unerklärlich entgrenzt. Eine verstörende Wirkung, die häufig durch die subtile Anlage des Tons, der die Videobilder begleitet und teilweise auch skandiert, noch zusätzlich gesteigert wird.

In der jüngst entstandenen Installation ‹from dusk till dawn› begegnen die BetrachterInnen auf drei grossen Projektionswänden einer Abfolge von Videosequenzen, die fast regungslose, nackte Körper zeigen, von denen Dunst aufsteigt. Durch die Inversion der Tonwerte sind die menschlichen Gestalten in dunkle, plastische Volumina verwandelt, die sich im Laufe der Zeit gleichsam verselbständigen, in Rauch auflösen. Die überlebensgross projizierten Körper mutieren zu Landschaften, zu Inseln, die eine ihnen innewohnende Energie sukzessive freisetzen. Die Gleichzeitigkeit von Ruhe und Dynamik, von sinnlicher Präsenz und undefinierter räumlicher Lokalisierung evoziert ein latentes Unbehagen. Die scheinbar schlafenden Körper entäussern Materie, über deren Beschaffenheit man nur mutmassen kann: Nebelschwaden, lodernde Flammen, Ausdünstungen, oder aber Träume und Seelenhauch. Den suggestiven Bildern mit ihrem vielfältigen Assoziationspotential von Körperlichkeit und mentalen Zuständen ist ein Soundteppich unterlegt, aus dem vereinzelt erkennbare Klänge auftauchen und wieder verschwinden. Ton und Bild folgen ihrem individuellen Rhythmus, der sich im Ganzen der Videoinstallation zum Eindruck von Atmung, von langsam pulsierender Bewegung und ausgedehnten Pausen verdichtet. Lässt sich der ‹Aggregatzustand› einer (nächtlichen) Landschaft sinnlich erfassen? Und was geschieht eigentlich, während wir schlafen? Anina Schenker spürt diesen durchaus existentiellen Fragestellungen in ihrer Arbeit nach, die darauf keine Antworten, sondern viel mehr Möglichkeiten der Annäherung bietet. Irene Müller

‹Freispiel›, Kunstmuseum Solothurn, 22.11. 2008 bis 4.1. 2009
www.kunstmuseum-so.ch
www.likeyou.com/aninaschenker/

Abbildungslegende:
Anina Schenker, Stills aus: from dusk till dawn, 2008, 3-Kanal-Videoprojektion, Projektionsgrössen 200 x 350 resp. 200 x 150cm © Anina Schenker