Zu den Arbeiten von Anina Schenker
Zu den Arbeiten von Anina Schenker
Anina Schenker (*1971 St. Gallen) hat von 1999 bis 2003 an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, Studiengang Bildende Kunst, studiert. Schon während ihrer Studienzeit war sie in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten und hatte bereit 2001 ihre erste Einzelausstellung.
Sie ist somit in der professionellen Kunstszene seit 5 Jahren aktiv. Anina Schenker beschränkt sich in ihren Arbeiten nicht auf ein bestimmtes künstlerisches Medium, obwohl sich in den letzten Jahren vor allem Video und Fotografie als charakteristische Tätigkeitsbereiche herauskristallisiert haben. Daneben setzt sie sich auch mit Schrift und Texten auseinander,
wobei hier die mediale Umsetzung variiert.
Die Video- und Fotoarbeiten von Anina Schenker zeichnen sich durch zwei Grundkomponenten aus: einerseits die Rückbindung an die Person / Persönlichkeit der Künstlerin, andererseits der performative Zug. Beide Elemente sind nicht immer gleich stark ausgeprägt; so lassen sich zwei Gruppen beobachten, in der jeweils das eine Element stärker präsent ist. Die eine Gruppe von Arbeiten fragt nach der kulturellen, sozialen und subjektiv wahrgenommenen Identität einer Person, exemplarisch und stellvertretend derjenigen der Künstlerin selbst. Anina Schenker geht diesen Aspekten anhand ihrer eigenen Biografie nach, sie sucht in den privaten Archiven und Lebensbereichen nach Strukturen und Anhaltspunkten. Dabei macht sie die Grenze zwischen privat und öffentlich durchlässig und lotet die Differenzen von individuell Relevantem und gesellschaftlich Erinnertem aus. Niederschlag finden die Fragestellungen in Arbeiten wie „1+1+1+“ (Video, 2000) oder „anmich“ (Acryl und Bleistift auf Wollstoff, 2002).
In einer anderen Gruppe von Arbeiten befragt die Künstlerin in unterschiedlichen, fast laborartigen Situationen ihren Körper, ihre physische Hülle. Sie setzt sich dabei Bewegungen und Emotionen aus, die Ausgangslage ist meist unspektakulär: Springen auf einem Trampolin, Schütteln des Kopfes, Frieren etc. Diese Arbeit mit dem eigenen Körper als Material künstlerischer Auseinandersetzungen wird von der Videokamera in zurückhaltenden Bildsequenzen eingefangen, bei denen die Künstlerin aber nie zur Akteurin wird oder eine Rolle einnimmt. Sie ist die ausführende Person einer von ihr selbst gewählten Handlung, sie bestimmt die Kamerapositionen und erarbeitet die mediale Umformung des audiovisuellen Materials zu Videoarbeiten. Gerade die zurückhaltende Inszenierung lenkt die Aufmerksamkeit auf Details, auf minimale Veränderungen und Verschiebungen; die emotionalen Aspekte dieser Bilder, die physische wie psychische Befindlichkeiten seitens der Künstlerin sowie des Publikums werden subtil ausgelotet. Eine künstlerische Strategie dabei ist die der Verlangsamung, die Anina Schenker häufig anwendet. Die Zeitlupe macht Veränderungen und normalerweise unsichtbaren Facetten von Bewegungen sichtbar.
Es entstehen langsame Bilder, in der Zeit gedehnte Momente.
Anina Schenkers Arbeiten tragen häufig performative Züge; hier stehen jedoch nicht – wie vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag – Fragen der Körperlichkeit oder feministische Diskurse im Vordergrund, sondern das das Interesse gilt dem Ausloten von Identität an sich. Ihre eigene Person dient der Künstlerin als Gegenstand der Beobachtung, die auf die Erkennbarkeit und Lesbarkeit von Emotionen und Seinsformen, d.h. auf individuelle Züge und Persönlichkeitsstrukturen ausgerichtet ist. Es ist in gewisser Weise die Suche nach dem Gegenüber, das sich im Spiegelbild zeigt.
Die Ähnlichkeit einiger Arbeiten Anina Schenkers liegt im oben skizzierten Grundinteresse begründet, das das bisherige Schaffen der Künstlerin durchzieht: Auf der inhaltlichen Seite ist es die Auseinandersetzung mit Individualität und Zeitlichkeit, auf der formalen Ebene sind es die Person der Künstlerin, die Nahansicht sowie der Zeitfaktor, die als charakteristische Elemente zu nennen sind. Hinter Bildern, die normalerweise für Dynamik, Geschwindigkeit oder Spontaneität stehen, wird das Einzelbild’ sichtbar, das sich von dem in ein zeitliches Kontinuum eingebundenen Gesamteindruck stark unterscheidet. Sowohl durch die mediale Repräsentation dieser Situationen als auch durch die räumliche Präsentation erarbeitet Anina Schenker in diesen Arbeiten ein meist unbewusst wahrgenommenes Potential, dass sich hinter den Bewegungen und emotionalen Situationen verbirgt. Sie legt Fragen der Existenz frei, der physischen und psychischen. Dabei berührt sie mit ihren Arbeiten sowohl aktuelle Diskurse wie z.B. über Hybridität und Körperlichkeit als auch kulturhistorische Traditionen wie diejenigen der physiognomischen Theorien seit Lavater. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die ebenfalls in der Kulturgeschichte bereits oft diskutierte Frage von Fragment und Ganzem: Anina Schenker löst diesen Diskurs von der physischen Erscheinung und überträgt ihn auf die Zeitebene und somit auf ein erweitertes Wahrnehmungssystem.
Die Videos zeigt Anina Schenker meist in sorgfältig geplanten räumlichen Präsentationen; die Anordnung und Wahl der Monitore, die Auswahl und Anpassung der Bildausschnitte zeigen sie als Künstlerin, die um die technischen Möglichkeiten ihrer Medien und um deren installative Ausformungen genau Bescheid weiss. Die Projekte begleiten ausführliche Recherchen über den Einsatz der Hilfsmittel (z.B. Windkanal, „durchdenwind“ 2003). Die meisten Fotoarbeiten entstehen in separaten Aufnahmesituation, jedoch in direktem Zusammenhang mit den Videos, es sind jedoch in der Regel keine Stills. Man könnte hier in übertragenem Sinn von ‚Set-Fotografien‘ sprechen, die einer anderen medialen Wahrnehmung, nämlich der fotografischen, verpflichtet sind.
Irene Müller, 2005
SIK, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich